Menschenrechte in Neukölln – eine Spurensuche

Viele Menschen in Neukölln engagieren sich für Vielfalt und gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Das war schon vor 100 Jahren so, wie ein Online-Stadtspaziergang am 4. Juni deutlich machte

Asure-Fest von Sivasli Canlar e.V. Foto: Birgit Leiß

Altarbild der Martin-Luther-Kirche Foto: Birgit Leiß

Herdelezi-Fest 2018 in der Boddinstraße Foto: Birgit Leiß

So war Neukölln in den 1920er Jahren Vorreiter in Sachen Schulreform. Die Rixdorfer Schule in der Donaustraße sollte schon damals eine Schule für alle sein. Zur gleichen Zeit wurde die Jüdin und Sozialdemokratin Helene Nathan Leiterin der Bibliothek in Neukölln. Ihre Vision: eine moderne, für alle Schichten zugängliche Bibliothek. „Bei den Menschenrechten geht es nicht nur um Meinungsfreiheit, sondern auch um so Alltägliches wie Bildung oder der Aufzug im U-Bahnhof“, erklärte der Dozent und Journalist Martin Forberg zu Beginn der Online-Veranstaltung.

Kampf gegen Aufwertung und Verdrängung

Oder um das Recht auf Wohnen. Der Stadtspaziergang zum Thema Menschenrechte startete am Hermannplatz, wo eine Initiative gegen den Abriss des Karstadt kämpft. Sie befürchtet, dass der geplante protzige Neubau des Warenhauses steigende Mieten und Verdrängung nach sich zieht. Direkt um die Ecke wurde kürzlich die Wissmannstraße in Lucy-Lameck-Straße umbenannt. „Ich freue mich sehr darüber“, meinte Martin Forberg. Die Auseinandersetzung mit den kolonialen Verbrechen sei überfällig. Lucy Lameck war Politikerin in Tansania und gilt als Vorkämperin für Frauenrechte.

Einwanderung ist der Normalfall in Neukölln

Religiöse Vielfalt hat in Neukölln Tradition, schließlich wurde das damalige Rixdorf schon im 17. Jahrhundert durch eingewanderte böhmische und französische Glaubensflüchtlinge geprägt. Rund 2000 Juden lebten um 1920 in Neukölln. In der Isarstraße erinnert heute eine Gedenktafel an die Synagoge, die einst hier stand. In Neukölln kann man auf einen muslimischen Friedhof spazieren gehen und nur wenige hundert Meter entfernt, am Rande der Hasenheide, einen Hindu-Tempel bestaunen. Eine weitere Station beim Online-Spazergang: die Martin-Luther-Kirche in der Fuldastraße 50, dessen Altarbild das friedliche Miteinander verschiedener Lebenswelten darstellt. Toleranz und Offenheit ist auch beim Alevitischen Verein Sivasli Canlar gelebter Alltag. Die Suppe beim Asure-Fest verteilt man alljährlich an Nachbar:innen und Passant:innen. Die Vereinsräume in der Donaustraße 102 wurden vom Quartiersmanagement Donaustraße-Nord vor einiger Zeit zum Nachbarschaftstreff ausgebaut. Hier kann man zum Beispiel jeden Samstag ein türkisches Musikinstrument erlernen. Sehr präsent im Bezirk sind auch die vielfältigen Aktivitäten von Amaro Foro. Der Verein mit Sitz am Weichselplatz organisiert seit vielen Jahren das Roma Kulturfestival „Herdelezi“ in der Boddinstraße. Mindestens genauso wichtig ist die politische Arbeit des Vereins gegen Vorurteile und Antiziganismus.

Widerstand gegen rechte Gewalt

Leider ist Neukölln aber nicht nur für seine Vielfalt bekannt, sondern auch durch rechtsextreme Angriffe. So wurde das Café Damaskus in der Sonnenallee mehrfach Ziel von Anschlägen. Anti-muslimischer Rassismus und Antisemitismus nehmen zu, aber auch das Engagement dagegen, sagte der Historiker Martin Forberg. Das Offene Festival Neukölln, in dessen Rahmen der Online-Spaziergang stattfand, setzt alljährlich ein deutliches Zeichen für ein offenes und solidarisches Neukölln. Über 100 Veranstaltungen wurden vom 4. bis 6. Juni angeboten. Organisiert wurde es vom Bündnis Neukölln, einem breiten Zusammenschluss von Organisationen, Gewerkschaften, Parteien und Initiativen.

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